Seidentücher, Schlangen, Alexander McQueen, Holly-Anne und Collagism

von Natasha Zahodnik
„Wenn ich mich in den sozialen Medien auf die Suche nach Collagen-Material mache, bekomme ich oft einige ziemlich seltsame Dinge angeboten. Die Leute fragen dann zum Beispiel: "Oh, möchtest du mein Kleingarten-Magazin oder die alten Pariser Vogue Ausgaben?" und ich denke, ja! Score!" Holly-Anne erzählt begeistert, wie und woher sie einen Teil ihres Materials bezieht. Bei unserer Videoverabredung merke ich, dass Holly Annes Ressourcen nicht nur interessant sind, sondern auch enorm groß. Ihr gut beleuchtetes Londoner Studio zeigt endlose, gut organisierte Bücher und Zeitschriftenberge, die hoch auf ihrem Schreibtisch und auf dem Bücherregal an der Wand hinter ihr gestapelt sind.
„Mein Thema ist das Porträt“, sagt sie lächelnd, „aber die Materialien selbst geben die Richtung vor, und das finde ich toll!
"Natürlich werde ich auch von Musik-, Mode-und Kunstmagazinen inspiriert. Oft startet von dort aus meine Suche zu bestimmten Inhalten und nimmt dann Fahrt auf. Ich liebe es, alles großflächig vor mir auszubreiten und zusammen zu suchen.”
Ähnlich wie bei der Kunstform der Collage, ist Holly-Annes Werk, das sie selbst Collagism nennt, vielschichtig, kooperativ und scheinbar zufällig, doch gleichsam komplex transformiert.
Dieses besondere Talent hat sich seit ihrer Kindheit kontinuierlich weiterentwickelt. So kann sich Holly-Anne daran erinnern, das sie im Alter von 8 Jahren besonders von Papier in allen Arten und Formen fasziniert gewesen ist und sie begonnen hat, dieses auf viele verschiedene Weise zu sammeln und zu organisieren. Sie verbrachte Stunden damit, ihre ausgeschnittenen Papiere zu ordnen, und nahm sogar das Telefonbuch zur Hilfe, um ihre Sammlung zu alphabetisieren.
„Ich schnitt Schlagzeilen, Bilder und Cartoons aus der Zeitung aus, nahm das Telefonbuch, organisierte dann diese Dinge alphabetisch zwischen den Seiten, in diesem großen, dicken Buch, mit seiner Bibelpapier Haptik“, lacht sie und denkt an ihr jüngeres, entschlossenes Selbst zurück.
Obwohl sie noch viele Jahre Papiere ausschnitt, archivierte und sortierte, begann sich die Richtung ihrer Kunst erst als Teenager zu festigen, wobei sie dann hauptsächlich von Mode- und Musikmagazinen, insbesondere The Face beeinflusst wurde, aus der sie, so erinnert sie sich, ihre erste richtige Collage geschaffen hatte. Während wir weiter über ihre Inspiration sprechen und wie sich diese in Richtung Mode entwickelt hat, wird deutlich, wie wichtig ihre Mutter bei der Entwicklung dieses Interesses war und auch wie sehr sie ihre Ideologie in Bezug auf Feminismus und Empowerment von Frauen mit geprägt hat, Elemente, die in Holly-Annes Arbeiten stark vertreten sind.

„Ich habe eine sehr stilbewusste Mutter, die in der Unternehmenswelt gearbeitet hat, und ich erinnere mich, dass sie in den 80er Jahren ein Lederkleid zur Arbeit trug“, sinniert sie. „Mein Sinn für Stil und mein Interesse an Mode kamen von ihr und sie ist ein wunderbares Vorbild für mich gewesen, auch was den Feminismus betrifft.“

Diese Haltung motivierte Holly-Anne auch zu ihrer ersten Street Art Kampagne für die Freilassung der inhaftierten russischen feministischen Punkrock- und Performance-Art-Gruppe Pussy Riot. In der Kunstform der Collage schuf sie Vogue-ähnliche Cover, die zur Unterstützung der Gruppe überall in den Straßen Londons geklebt wurden. Ironischerweise führte sie dies zu einer neuen eigenen Identität als Street Art Künstlerin und auch zu ihrem Künstlernamen. "Ich habe Street Art gemacht und brauchte einen Namen für meine Arbeit. Deshalb habe ich Collagism geschaffen, weil es genau das beschreibt, was ich mache."

Wie sie in ihrem Manifest für Collagism erläutert, entspringen ihre Collagen dem "Wunsch, alles und jeden neu zu ordnen und neu zu erfinden". Bei der Arbeit mit 2D, 3D und Multimedia verwendet Collagism viel mehr als nur eindimensionale Papierausschnitte. Ihre Arbeit ist vielschichtig mit einer modernen Anmutung. Sie schöpft aus vielen Kreativbereichen wie Film, Kunst, Mode und Musik in all ihrer Vielfalt, die sie dann wiederverwertet, neu mischt, um daraus etwas völlig Neues zu schaffen. Dies ist, erklärt sie, „im Wesentlichen eine Zusammensetzung aus verschiedenen Formen aus denen eine neues Ganzes geschaffen wird.“
Wie viele Künstler*innen, reflektiert Collagism in ihrer humorvollen, farbenfrohen Kunst, die surreale Linie und Interaktion zwischen sich selbst und der Gesellschaft. Ihr Stil spiegelt auch ihre Arbeit wider - helle Haut, schwarze Tortoise Brille, roter Lippenstift, rosa Kleid, weißblondierter Bob und eine große, klobige Halskette mit der Aufschrift - BEYOND.

Als selbsterklärte „Maximalistin“, folgt Collagism der als Adornismus bekannten philosophischen Kunstbewegung, die ihre Kunst, Persönlichkeit und Kleidung als allgegenwärtige Erweiterungen derselben Sache bezeichnet. Da es keine Trennlinie zwischen dem gibt, was sie tut und wer sie ist, ist auch die Grenze zwischen Mode und Kreativität miteinander verschmolzen. Für Collagism "gibt es keinen Punkt, an dem man endet und etwas anderes beginnt, alles geht ineinander über."

Auf die Frage nach ihrem persönlichen und vielseitigen Sinn für Mode und Stil lacht sie, macht eine Pause und erklärt dann ruhig: "Nun, er ist vielseitig." Während die Kamera an ihrem Kleiderschrank vorbei schwenkt, sehe ich eine riesige Auswahl an farbenfrohen Kleidern - verschiedenste Schattierungen von Pink, eine Ansammlung unterschiedlichster Muster, tiefes Schwarz und ein einzelnes Kleidungsstück in strahlendem Gelb, was noch einmal besonders heraussticht.

Da ich ihren Antrieb und ihre modischen Einflüße nun besser verstehe, scheint es keine Überraschung, dass ihr Motiv für das MOCOMOCO Seidentuch von Alexander McQueen inspiriert wurde.

Sie ist seit Jahren ein Fan von ihm und erklärt: "Ich habe Alexander McQueen geliebt, seit ich mich erinnern kann." Während ihres Besuches der Ausstellung „Savage Beauty“ im Jahr 2015 im Victoria and Albert Museum in London erlebte Collagism dessen atemberaubende Kunst hautnah. "Ich bin zu Alexander McQueen gegangen ..." Sie macht eine kurze Pause mitten im Satz und fährt dann fort. "Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich nur daran denke, weil es eine der besten Ausstellungen war, die ich in meinem Leben gesehen habe. Es war so inspirierend und wunderschön kuratiert. Die Leute gingen herum und weinten. “

Aufgewühlt ging sie nach Hause und widmete sich verstärkt ihrer eigenen Kunstform: „Ich wollte unbedingt etwas erschaffen und ich wollte dieses Gefühl verkörpern, das ich hatte, diese dunkle Schönheit.“ Nachdem sie das Savage Beauty-Buch durchgegangen war, das sie in der Show gekauft hatte, wurde sie auf das Schlangenhautmuster eines McQueens Kleides aufmerksam. Daraus entstand dann eine Reihe von Collagen mit dem Titel "Lust Monsters: Cash, Eternity, Stuff and Flesh", wovon Letztere später als Grundlage für das MOCOMOCO Seidentuch „NEW YORK“ ausgewählt wurde.

CASH

ETERNITY

Diese Serie ist ein Totem-Set, beinflußt von Andy Warhols Idee ein Symbol zu wählen - in diesem Fall die Schlange – und es Stück für Stück leicht zu verändern. In Bezug auf „Flesh“ wirkten sich andere Einflüsse auf ihre Vorgehensweise aus, darunter „eggs, legs and silk webs“ - Themen, die sie schon früher inspiriert haben und auf die sie sich konzentrierte, ebenso wie die stark bearbeiteten Bilder von Models in Modemagazinen und die Arbeit der Künstlerin Louise Bourgeois.

Collagism führt weiter fort: „Schlangen und Eier wurden verwendet, um Sexualität, Sinnlichkeit und Begierde darzustellen. In unserem Körper haben wir eine ruhende Energie, die an der Basis unserer Wirbelsäule liegt. Dies ist die Kundalini-Energie, von der die Leute sagen, dass sie eine Schlange darstellt. Ich bin wirklich begeistert von dieser Idee und ich denke, es ist sehr vielschichtig. Es ist eine Lebensphilosophie, aber auch die Symbologie der Kunst. "

STUFF

FLESH

In ihrer New Yorker Schaffenszeit wurde Collagism von MOCOMOCO kontaktiert und gefragt, ob sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen könne. „Alle anderen Künstler*innen, mit denen MOCOMOCO schon zusammenarbeitete, haben einmalige Dinge geschaffen. Ich war wirklich begeistert von ihrem Stil und der Qualität ihrer Arbeit.“ Mit ausschlaggebend für ihre Entscheidung war auch, nun endlich mit Seide arbeiten zu können.

Als Liebhaberin von Mode und Textilien hatte war sie zwar schon mit einem New Yorker Designer zusammengearbeitet, aber ein eigenes Seidentuch stand noch immer auf ihrer Wunschliste. "Es war also in vielerlei Hinsicht eine Offenbarung."

SEIDENTUCH

SEIDENTUCH "NEW YORK"

MEHR ERFAHREN
Die freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen MOCOMOCO und Collagism geht aber nicht nur bei Seidentüchern weiter. Andere Projekte sind in Planung, so z.B. auch gemeinsam gestaltete Tapeten. Man muß allerdings nicht warten, um seine Wände mit feiner Urban Art zu schmücken. Unter den Rubriken Wall Art und Fine Art Print gibt es noch einiges zu entdecken...