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Constanze Molnar
1. Was begeistert Sie selbst als Künstlerin an Street-Art? Wann haben Sie sich erstmals intensiver mit dieser Kunstform auseinandergesetzt?
Mich begeistert vor allem die Spontanität und Freiheit dieser Kunstform und ihr sozialer und gemeinschaftlicher Faktor. Viele Paste-Ups, Stencils oder Graffitis nehmen direkten Bezug zu aktuellen Ereignissen oder sie entstehen aus einem unmittelbaren Drang heraus, sich der Welt mitzuteilen. Und das auf sehr unterschiedliche, oft auch überraschende Art und Weise.
Durch die Verwendung eines „Tags“, also der Anonymisierung seiner selbst, hat man überdies die absolute Freiheit und muss keine Angst vor negativen Auswirkungen haben.
Ein weiterer wichtiger Bonuspunkt der Street Art ist ihr sozialer Faktor. Ich liebe es, dass diese Kunstform für alle ist. Jeder kann sie kostenlos bewundern, sich darüber aufregen oder sie verdammen.
Man muss nicht in ein Museum oder eine Galerie gehen, sondern wird einfach auf seinem Weg ohne Vorahnung überrascht. Und das finde ich einfach wunderbar.
Meine engere Beziehung zur Street Art hat sich eigentlich durch meinen Wohnort ergeben.Ich wohne in Berlin/ Prenzlauer Berg und habe jeden Tag lange Stadtspaziergänge mit meinem Hund gemacht. Dort ist es praktisch unmöglich, nicht täglich neue und überraschende Kunst im öffentlichen Raum zu entdecken. Irgendwann habe ich dann angefangen vieles zu fotografieren und zu dokumentieren, da mir auffiel, das viele Paste-Ups schon nach kurzer Zeit wieder verschwinden. Das fand ich sehr schade, da ich einige besonders kunstvoll, witzig oder schlagfertig fand.
2. Ist Street Art immer laut oder kann sie auch leise?
Natürlich kann sie beides und auch alle Töne dazwischen. Das macht ja einen Teil der Faszination aus. Street Art ist genauso facettenreich wie die Menschen auf unserem Planeten. Das geht von großen Events wie den weltweit regelmäßig stattfindenden „Mural Festivals“, bei denen die Künstler meterhohe Wände zur Verfügung gestellt bekommen, bis hin zu winzig kleinen Statement Stickern die spontan an Ampeln geklebt werden. Ich finde es auch toll, dass mittlerweile einige Künstler in der Lage sind als Street Art Künstler durch die Welt zu ziehen und davon leben zu können.
3. Wie geht Street-Art mit Seide zusammen? Ist das kein Widerspruch?
Ja, das ist der größtmögliche Widerspruch überhaupt :-)) und für mich auch genau deshalb besonders faszinierend. Die oftmals „schmutzige“ Street Art und die kontrastreiche, edle Seide. Was für eine widersprüchliche Kombination. Gerade durch die Wahl dieses edlen Materials versuche ich die Motive zu feiern oder auch ihre Bedeutung zu unterstreichen. Sie sozusagen auf ein Podest zu heben, um so auf das Genre als Ganzes aufmerksam machen. Street Art hat ja immer noch bei einigen Menschen einen leicht negativen Beigeschmack und das möchte ich gerne geraderücken. Außerdem hat Seide diese wahnsinnige Strahlkraft der Farben, die ich bei keinem anderen Material gefunden habe.
4. Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Künstler ausgesucht? Wie wichtig waren Ihnen die Herkunftsländer?
Das war ein Entwicklungs- und Lernprozess. Viele Street Art Künstler leben die Mobilität unserer Zeit voll und ganz und wechseln dementsprechend oft auch ihren Wohnort. Dadurch hat es sich ergeben, dass ich nach und nach den Standort der Motive priorisiert habe. So wurde das „New Yorker“ Motiv zwar dort geklebt, aber die Stadt war nur für einen bestimmten Lebensabschnitt die Heimat von Holly Anne Buck (Künstlername: Collagism). Als gebürtige Australierin, die momentan in London lebt, repräsentiert sie für mich perfekt die facettenreiche Street Art, irgendwie auch als Lebensform. Das Motiv “Paris” hingegen ist durch und durch “französisch”, also wo Motiv und Künstlerin sich im selben Land befinden. Wichtig ist mir vor allem, welche Inspiration die Kunstwerke in mir entstehen lassen. In welcher Weise sie das Gefühl der Stadt wiedergeben, in der sie entstanden sind, bzw. wie ich diese Städte selbst empfinde. Fast nebenbei und ganz organisch hat sich dabei eine für mich schöne und anregende Vielfältigkeit bei der Auswahl ergeben. Dabei habe ich allerdings nicht nach der Bekanntheit der Künstler geschaut.
5. Jedes Tuch erzählt eine Geschichte, gibt es eine, die Sie besonders beeindruckt hat?
Das ist eine wirklich schwierige Frage. Denn natürlich finde ich alle Stories toll. Gerade jetzt aber beschäftige ich mich hauptsächlich mit meiner Heimatstadt Berlin. Wir haben das wunderbare Angebot bekommen, unsere Kreationen auch im neuen Humboldt Forum in Berlin präsentieren zu dürfen. Dessen Eröffnung für das Publikum musste ja leider wegen des Lockdowns mehrmals verschoben werden. Aber sobald es dort los geht, wird zunächst das Thema Berlin im Vordergrund stehen. Geplant ist, die anderen 6 Künstler bzw. Städte dann nach und nach über das ganze Jahr 2021 verteilt vorzustellen. Die Geschichte zu „Berlin“ ist auch wirklich sehr passend. Das Motiv stammt von der Berliner Street Art Künstlerin CAZ.L aus ihrer Reihe "When strangers become friends", in der sie humorvoll für Toleranz zwischen allen Lebewesen wirbt. Ganz leicht zu finden unter #Salamidoggy auf Instagram. Dabei geht es um einen kleinen Dackel (ein Stereotyp des deutschen Haustieres), der immer wieder neue außergewöhnliche tierische Freunde trifft und mit diesen allerlei Abenteuer in Berlin erlebt. CAZ.L nimmt diese Paste Ups natürlich auch mit auf ihre Reisen und daher ist #salamidoggy schon ganz schön herumgekommen.
6. Gibt es nationale Unterschiede, was die Street-Art in Paris oder Buenos Aires betrifft?
Ich weiß nicht, ob man das so verallgemeinern kann, denn hinter jedem Motiv stecken ja die unterschiedlichsten Menschen mit den verschiedensten kulturellen Wurzeln. So gibt es alles, von professionellen Street Art Künstlern, die von Street Art Festival zu Festival reisen und die Gelegenheits-Künstler, die nachts um die Häuser ziehen und ihre Botschaften verbreiten. Aber in gewisser Weise trifft es natürlich schon zu…, gerade bei den von mir gewählten Motiven.
Das Pariser Motiv stammt von der französischen Künstlerin „Madame Moustache“. Sie kommt aus der Welt des Theaters und der Inszenierung. Für ihre wundervollen Collagen nutzt sie die Ikonographie der alten Welt, also Europa, Afrika und Asien. Sie verwendet dafür verschiedenste historische Materialien, wie Fotos von Kupferstichen, Zeitungen, aber auch Holz, Stoffe und natürlich vor allem die Poesie.
Das alles verkörpert für mich das alte Paris, welches sie gekonnt mit der Gegenwart verknüpft. Wundervoll, dass sie ihre feinen Arbeiten dann auch als riesige Plakate im öffentlichen Raum für uns alle in Szene setzt.
Die Malerin Mabel Vicentef aus Buenos Aires hingegen, beschäftigt sich größtenteils mit der Natur die uns umgibt. Mit der Schönheit um uns herum und auch mit deren Gefährdung. Was ja, wie wir alle wissen, ein besonders gegenwärtiges Thema ist und uns auch mit einer gewissen Dringlichkeit betrifft. Mabel arbeitet in riesigen Maßstäben und verbringt viel Zeit auf Hebebühnen um ihre oft 8 - 10 Meter hohen „Murals“ zu erstellen, mit denen sie sowohl die Natur als auch den Menschen feiert.
7. Sie betten jedes Street-Art-Motiv in ein besonderes Umfeld, was inspiriert Sie dabei?
Also ich lasse mich dabei vor allem von dem Motiv selbst inspirieren. Mein Ziel ist, immer den Künstler und sein Werk in den Mittelpunkt zu stellen und mich selbst dabei weitgehend zurück zu stellen. Was nicht immer einfach ist. Oftmals suche ich tagelang bis ich einen geeigneten Hintergrund finde, der das Motiv komplementär unterstreicht und nicht davon ablenkt.
Bei Berlin z.B. habe ich eine alte Plakatwand als Hintergrund verwendet und man muss schon genau hinsehen, um Details wie abgelöste Ecken oder Schrift usw. zu erkennen. Desweiteren suche ich manchmal auch nach einem besonderen Detail in der Arbeit oder nach „Zutaten“, die die Botschaften unterstreichen, ohne dem Original etwas weg zu nehmen oder es nur zu kopieren. Bei „Buenos Aires“ waren dies z.B. die Bäume aus dem Motiv, welche ich mehrmals gespiegelt und neu arrangiert habe.
Danach stellte sich noch die Frage der Farbwahl. Aber damit bin ich jetzt sehr glücklich und Mabel Vicentef auch. Und das freut mich am Allermeisten
8. Was macht für Sie persönlich die besondere Kraft von Street-Art aus, ihre politische Botschaft, ihre einzigartige Poesie …?
Vor allem die Vielfalt von Urban Art. Von der politischen Botschaft bis hin zur eigenen Problembewältigung. Vom einfachen, manchmal auch derben, Statement bis hin zur ausgefeilten Inszenierung. Die ganze Bandbreite der menschlichen Befindlichkeiten. Reizvoll finde ich außerdem, dass wirklich jeder Mensch - unabhängig von Status oder Ausbildung - Zugang dazu hat. Also sowohl bei der Betrachtung, als auch bei der Schaffung von Kunst. Sich selbst einen Auftritt im öffentlichen Raum schaffen zu können ist doch einfach grandios.
Ich selbst nutze diese Möglichkeit auch ab und zu. So habe ich vor einiger Zeit meinem Ärger über die maßlos steigende Zahl von Airbnb Vermietungen in meiner näheren Umgebung Luft verschafft. Dieses unablässige Rattern der Rollkoffer über Kopfsteinpflaster hat mich dazu veranlasst, die Paste Up Serie “Rollkoffer” auf die Hauswände meiner Umgebung zu kleben. Das hat mir schon Erleichterung verschafft, lach! auch weil ich weiß, dass einige meiner Nachbarn das auch gut fanden.
9. Street-Art gehört auf die Straße oder doch zu Hause an die Wand?
Street Art gehört unbedingt auf die Straße; das macht ja ihr eigentliches Wesen aus und bereichert unser aller Leben tagtäglich auf die eine oder andere Weise.
Mich sehe ich eher in der Rolle einer Botschafter- und Unterstützerin. Ich möchte Menschen darauf aufmerksam machen, wie wunderschön und vielfältig Street Art sein kann. Und wie unterschiedlich sie auf der Welt vertreten ist, wie viele bekannte und unbekannte Künstler sich damit eigentlich beschäftigen.
Vor allem aber möchte ich die Künstler selbst unterstützen. Sie alle geben uns soviel und ich empfinde es als großartig, dass sie uns alle dabei an ihrem Schaffen teilhaben lassen. Deshalb ist es für mich ein schöner Gedanke, dass jemand vielleicht ein Lieblingsmotiv, eine Lieblingsstadt oder einen Lieblingskünstler hat, der ihn dann in Form eines Seidentuches oder als Wall Art in seinem Leben begleitet. Und er damit ganz nebenbei außerdem noch die Künstler in ihrer weiteren Arbeit unterstützen kann.
10. Viele Street-Art Arbeiten kämpfen mit dem Vergänglichkeits - Faktor. War dies auch ein Grund, der Sie dazu bewegt hat, Street-Art in neuer Form zu präsentieren?
Ja, das war jedenfalls mein Anfangsgedanke. Als ich immer wieder diese kleinen, feinen Papierarbeiten in meiner näheren Umgebung fand, die dann nach einigen Tagen oder Wochen fast immer verschwunden waren. Das fand ich so schade, obwohl das ja auch ein Wesenszug der Street Art ist. Jedenfalls habe ich angefangen diese Motive zu fotografieren und zu sammeln. Dann wollte ich sie mit der Welt teilen. Einfach weil ich es so toll und einzigartig fand.Normale Prints waren mir irgendwie zu wenig und da kam dann die Seide mit in’s Spiel. Sein Herzensmotiv aus einer bestimmten Stadt mit auf Reisen nehmen zu können finde ich schön.
11. Sind Sie weiter auf der Suche nach neuen Motiven? Wie nehmen Sie die Entwicklung der Street-Art-Szene in Berlin und der Welt wahr?
Ja, unbedingt! Ich habe beschlossen mit eher kleineren Auflagen zu arbeiten. Ich bin einfach zu neugierig auf das, was es noch so in der Welt gibt. Und es gibt soo viele interessante Städte und Länder zu erforschen. Momentan suche ich im asiatischen Bereich, obwohl es mir vorkommt als ob das diesmal etwas schwieriger werden könnte. Oder vielleicht auch Mexico. Da habe ich auch schon jemanden im Auge.